Jasmin – Fehlgeburt 2019
Es ist wohl einer der schönsten Momente und verliert auch in seiner Wiederholung nichts von seinem Zauber. Nachdem wir bereits zwei wundervolle Kinder geschenkt bekommen haben, hielten wir nun also unseren dritten positiven Schwangerschaftstest in den Händen. Voller Vorfreude, Euphorie und allen Glücksgefühlen dieser Welt fieberten wir dem ersten Frauenarzttermin entgegen. Wir wussten ja bereits, was passieren würde. Ein paar Tests, Gespräche mit dem Arzt und dann natürlich der Ultraschall. Wir waren sehr früh beim Arzt und uns war bewusst, dass man in der 6. Woche noch nicht allzu viel erkennen wird, freuten uns aber dennoch auf alle kleinen erkennbaren Anzeichen. Und da waren sie: aufgebaute Gebärmutterschleimhaut, Fruchthöhlen…. ja Mehrzahl…und etwas Ungewöhnliches. Der Arzt erklärte, dass es aussieht als hätte eine Blutung stattgefunden. Dass er bei keiner der beiden Fruchthöhlen aktuell einen Herzschlag feststellen könne. Ob ich Blutungen gehabt hätte, oder irgendwas ungewöhnlich gewesen sei. Alles Worte und Sätze, die ich nur sehr passiv wahrnehmen konnte. Ich starrte auf den Bildschirm und mir ging nur ein Gedanke durch den Kopf. Der Herzschlag musste da sein!
Um keine vorschnellen Entscheidungen zu treffen wollte der Arzt gerne noch zwei Wochen abwarten. Zwei Wochen die für uns voller Hoffnung und gleichzeitig Angst waren, zwei Wochen die nicht vergehen wollten, zwei Wochen in denen wir uns von dem Gedanken Zwillinge zu bekommen bereits verabschiedeten, aber so sehr bangten, dass sich doch bitte eines der Embryos weiter entwickeln würde. Nach diesen endlosen zwei Wochen waren wir also wieder in diesem Behandlungszimmer, auf diesem Behandlungsstuhl, doch eins war anders. Es war keinerlei Vorfreude mehr da, nur noch Angst und absolutes Unbehagen. Keine zwei Minuten später sollten wir Gewissheit haben, dass sich der Verdacht eines bzw. zweier sogenannter Windeier bestätigen sollte. Die Zellteilung hat aus irgendwelchen Gründen in einem sehr frühen Stadium der Schwangerschaft gestoppt und unsere Babys haben sich nicht weiterentwickelt.
Man sah es mehr als deutlich, quasi schwarz auf weiß, denn das Ultraschallbild hatte sich nicht verändert im Vergleich zum letzten Besuch. In diesem Moment schien die Welt unterzugehen. Fassungslosigkeit obwohl man bereits mit dem Schlimmsten gerechnet hatte. Absolute Leere, die Suche nach Gründen, Erklärungen, irgendetwas an dem man sich festhalten konnte. Doch da war nichts, außer dass man begann Fehler bei sich zu suchen. Und wenn man dort keine fand, war es Karma? Hat man das verdient? Wieso wir? Ungerechtigkeit, aber was ist schon gerecht?
Statistisch gesehen passiert das bei jeder zweiten Schwangerschaft. Ein Drittel aller Frauen hat bereits eine oder mehrere Fehlgeburten durchleben müssen. Der Körper hat das geregelt. Das war bestimmt besser so. Es waren doch bloß Windeier. Lieber in der 8. Woche als später. Stell dir vor es wäre behindert gewesen. Du hast doch schon zwei gesunde Kinder, sei doch dankbar dafür. Beim nächsten Mal klappt es bestimmt. Wer weiß was gewesen wäre.
Ja…. wer weiß, was gewesen wäre. In meiner Vorstellung wären es zwei genauso wundervolle Kinder gewesen, wie ich bereits habe. Ich wusste, dass all diese Ratschläge nur gut gemeint waren, dass manch einer auch nicht wusste, was er sagen soll und mich damit aufmuntern wollte…aber in diesem Augenblick will man das alles nicht hören. Das Loch, in welches ich emotional gefallen bin war unendlich groß und bevor ich nicht den Grund erreicht haben sollte war es mir egal, was die Statistik sagt, dass mein Körper vielleicht was geregelt hat und es das nächste Mal bestimmt klappt. Ich wollte traurig sein dürfen, ich wollte trauern dürfen, ich war 8 Wochen schwanger, mit allem was dazu gehört und es ist ein Verlust wie jeder andere Verlust auch. Wieso dort Unterschiede gemacht werden zwischen der Anzahl der Schwangerschaftswochen ist mir bis heute schleierhaft.
Nachdem von den ersten Personen, die davon erfuhren ausschließlich derartige Ratschläge zu hören waren, habe ich den größten Fehler begangen. Ich hörte auf zu reden. Mit außenstehenden Personen sowieso, aber auch mit meinem Mann sprach ich nicht mehr darüber. Eher distanziert, ärztliche Eingriffe die nötig waren, weil die erste Ausschabung nicht erfolgreich verlief, aber nicht auf emotionaler Ebene. Er merkte, dass es mir schlecht geht, aber er wusste nichts über meine Gedanken und ich ließ ihn nicht mehr an mich ran.
All dieses Verdrängen stürzte unsere Beziehung echt in eine kleine Krise, aus der wir erst wieder herausgelangten, als ich den Mut und das Selbstvertrauen zurück erlangt hatte offen darüber zu sprechen und Emotionen sowie Gefühle einfach zuzulassen. Man muss nicht immer stark sein, man muss sich nicht die Meinungen anderer Menschen so sehr zu Herzen nehmen. Wenn sie mit einer Fehlgeburt so umgehen möchten, dann ist das ihr Weg, aber nicht meiner. Je mehr ich darüber sprach, desto mehr Geschichten und Einzelschicksale offenbarten sich auch mir. Der Gedanke, dass die Statistik sagt, dass es vielen so ergeht, der mich am Anfang gar nicht trösten konnte, war nun wo man von Bekannten, Verwandten und Freunden ähnliche Schicksale erfuhr doch irgendwie trostspendend. Man war nicht mehr allein, allein in diesem emotionalen Loch. Man hörte von so vielen Geschichten, wo nach Fehlgeburten ein Folgewunder die Welt wieder in Bewegung setzte.
Bei uns hat dieser Schritt, die Entscheidung, der Mut es wieder zu probieren 1,5 Jahre gedauert. Vorher fühlte ich mich emotional nicht in der Lage. Ich war so angstbehaftet und war davon überzeugt, wenn man bereits mit einem schlechten Gefühl an so etwas herangeht, dann ist es zum Scheitern verurteilt.
Also waren wir nun 18 Monate nach der OP an dem Punkt zum Thema „Beim nächsten Mal klappt es bestimmt“. Die gleichen Emotionen, das gleiche Gefühl wie bei den vorangegangenen 3 Schwangerschaften. Vorfreude, Hoffnung, Neugierde, Euphorie und wieder der Gang zum Frauenarzt in der 7. Woche. Auch wenn man nun emotional wieder stabil war, ist natürlich klar, welche Gedanken vor allem beim ersten Arztbesuch im Hinterkopf umherschwirren. Wieder Tests, Gespräche und dann der Ultraschall. „Wollen Sie gar nicht hinsehen?“, erst bei der Frage wurde mir bewusst, dass ich den Blick auf den Bildschirm vermied. Doch dann sah ich hin und da war sie, die Fruchthöhle und in der Fruchthöhle ein kleines Wunder mit fleißig pochendem Herzen. Ich dachte nicht, dass dieser Moment noch schöner hätte sein können als bei meinen ersten beiden Kindern, aber er war atemberaubend nach den Erfahrungen der letzten 1,5 Jahre.
Ich dachte ich platze vor Glück und Erleichterung. Ich hätte es in die Welt hinausschreien können, aber dafür bin ich zu abergläubisch und bis zur 12. Woche sollte es unser kleines Geheimnis bleiben. Wir hätten glücklicher nicht sein können. Weil alles in Ordnung und sämtliche Werte vorbildlich waren, war der nächste planmäßige Termin 4 Wochen später. Dieses Mal ging ich ganz unbesorgt und voller Zuversicht zum Arzttermin. In der 11. Woche waren wir nun und da kann man bekanntlich den kleinen Menschen schon richtig gut sehen. Ich freute mich riesig auf diesen Moment. Der Behandlungsstuhl erschien diesmal auch gar nicht mehr so abschreckend, wie die letzten Male. Der Ultraschall begann. Die Ärztin begann sich auf die Suche zu machen, verdächtig lang irgendwie. Dann drehte sie den Bildschirm von mir weg und ich wusste, dass etwas nicht stimmte. „Hatten Sie Blutungen in den letzten Wochen? Hatten Sie Schmerzen?“ Sie brauchte eigentlich nichts mehr zu sagen. Nein hatte ich nicht, es war alles prima, so wie beim letzten Mal auch. Doch so wie beim letzten Mal auch, war ab diesem Augenblick gar nichts mehr prima. Unser Baby verstarb in den vergangenen Wochen, das kleine Herz hatte aufgehört zu schlagen. Einen Grund? Den gab es nicht. Der Körper hat das geregelt. Wer weiß für was es gut war. Stehen diese Sätze in irgendeinem Ratgeber? Ich konnte und wollte sie nicht hören. Ich wusste was folgte. Ich wollte nur noch nach Hause.
Ich will nicht sagen, dass diese Fehlgeburt leichter war. Schließlich war es diesmal ja nicht „nur“ ein Windei. Sie war genauso schlimm wie die vorherige auch. Aber ich war emotional gefestigter. Ich wusste, was mir gut tut. Ich wusste wie ich damit umgehen musste. Ich wusste mir diesmal selbst zu helfen. Die Trauer war die gleiche, aber ich wusste nun, dass es nicht besser wird dadurch es zu verdrängen und auch nicht dadurch sich selbst fertig zu machen mit jeglichen Gedanken. Ich ließ die „gut gemeinten“ Ratschläge an mir abprallen. Ich erzählte vielen Menschen in meinem Umfeld davon und machte kein Geheimnis daraus, was uns wiederfahren war. Ich fuhr mit meinen Liebsten in den Urlaub, renovierte mein Zuhause und lenkte mich im positiven Sinne ab, ohne etwas Verdrängen zu wollen. Ich erzählte meinem Mann alles. Egal wie seltsam, wie verwirrend oder ätzend ein Gedanke auch war, ich ließ ihn teilhaben. Das macht den Verlust nicht erträglicher, aber es hat mir geholfen schneller wieder nach vorne blicken zu können. Ich habe auf mich geachtet, meinen Körper, mir Auszeiten gegönnt wenn sie notwendig waren und nicht einfach so weitergemacht wie zuvor. Das ist das, was man im Alltag zu selten tut. Sich selbst Zeit geben. Das soll nicht bedeuten egoistisch zu sein, es geht auch nicht um Zeit im Sinne von Freizeit für irgendwelche Unternehmungen, es geht vielmehr darum auf seinen Körper zu hören.
Wenn man nach Fehlern sucht, findet man viele Punkte die einen enttäuscht haben in diesen Momenten. Das recht abgeklärte „Die Schwangerschaft ist nicht mehr intakt“ der Ärztin, die vermeintlich gut gemeinten Ratschläge von nahestehenden Personen, das missverstanden Fühlen vom eigenen Ehemann. Mit der Zeit wurde mir aber zunehmend bewusster, dass es nicht die Anderen sind, sondern die eigene Person. Auf so etwas ist man nie vorbereitet und rational handeln und entscheiden in diesem Moment ist ein utopischer Anspruch und nicht Sinn des Ganzen. Fühle wie du fühlst, trauere wie du es für richtig hältst zu trauern, suche nicht verzweifelt nach Gründen, denn es gibt manchmal einfach keine und projiziere deine Wut nicht auf die Menschen, die dir eigentlich nur helfen wollen, nur leider nicht wissen wie. Sprich so oft es geht, mit so vielen Menschen wie du für richtig hältst über dein Baby und behalte es so in Erinnerung: Als kleine Seele, die die Erde nur streifen durfte.