Warum stirbt ein Baby? Warum passiert mir das? Warum? Diese Frage stellen sich die meisten von uns früher oder später. Und manche von uns treibt sie in Wahnsinn. Ich habe Frauen kennengelernt, die mit Mitte 20 eine Fehlgeburt hatten und mit Mitte 60 immer noch über das Warum nachdenken. Ganze Leben werden von dieser Frage bestimmt.
Nach meiner ersten Fehlgeburt habe ich mir diese Frage auch gestellt; und zwar, weil alle mich danach gefragt haben! „Was glaubst du, warum ist das passiert? Weil du so viel Stress hattest/Weil du dich vegan ernährst/Weil du noch nicht wieder bereit bist/Weil was mit deinen Hormonen nicht stimmt?“. Nach meiner ersten Fehlgeburt habe ich all diese Fragen noch ernst genommen und mich immer wieder gefragt: was stimmt nicht mit mir? Was habe ICH falsch gemacht? Und das Fragen und Kopfzerbrechen hat mich immer tiefer in meinen Frust hineingezogen. Bei meiner zweiten Fehlgeburt kam meine Hebamme zur Geburt zu mir nach Hause. Als ich ihr dir Tür öffnete (weinend und mit Wehen) nahm sie mich in den Arm und das erste was sie sagte war: „Es gibt keinen Grund!“. Mit diesem einen Satz ist so unendlich viel Last von mir abgefallen. Es gibt keinen Grund. Es ist einfach. Es ist einfach wie es ist. Es ist normal. Es passiert. Mit diesem Satz, den sie mir sagte, fiel alles von mir ab.
In meinem Buch “Vertrauen nach Fehlgeburt” gehe ich ausführlicher auf mögliche Ursachen für eine Fehlgeburt ein, aber eigentlich ist das einzige, was du wissen musst, dass Fehlgeburten völlig normal sind und du (in aller Regel) keine Schuld trägst.
Es gibt keinen Schuldigen
Eine Fehlgeburt ist immer eine traurige Angelegenheit: Wir freuen uns auf ein kleines Baby, auf einen neuen Menschen, auf ein Familienmitglied, auf unsere neue Rolle als Mutter, auf alles, was wir gemeinsam mit diesem Menschen erleben werden – und dann wird uns all das wieder genommen. Das ist sehr traurig. Und es ist richtig und wichtig, darüber zu trauern. Aber wir brauchen uns nicht noch mehr herunterzuziehen, indem wir mit aller Kraft einen Schuldigen (ein Warum) suchen. Manchmal gibt es ganz einfach keinen Grund und alles, was uns bleibt, ist es, anzunehmen und zu akzeptieren, was ist. Die Suche nach einem Schuldigen feuert unser Leid mitunter immer weiter an. Anstatt dass wir es annehmen und somit irgendwann auch wieder loslassen können, stochern wir weiter und weiter in der Wunde, so dass sie niemals verheilen kann. Sie eitert jahrelang vor sich hin und blutet sogar immer mal wieder, jedes Mal, wenn wir uns fragen: „Lag es daran, dass ich diese schwere Kiste getragen habe?“ Nein, es lag nicht an der schweren Kiste, aber auch ganz abgesehen davon: Du kannst es nicht mehr ändern. Es gibt zwischen Himmel und Erde mehr als das, was wir sehen können – und wir können einfach nicht immer alles erklären. Manchmal bleibt uns nichts anderes übrig, als es einfach anzunehmen, so wie es ist.
Loslassen und Vergeben
Vergeben heißt loslassen und nur, wenn wir loslassen, haben wir die Hände wieder frei, um zu empfangen. Nur, wenn wir loslassen, können wir heilen. Loslassen heißt nicht, zu vergessen. Wenn das Wort „loslassen“ für dich schwierig ist, dann versuche es mit „freigeben“. Du darfst deinen Schmerz, deinen Frust und dein Kind, die Seele deines Kindes, wieder freigeben. Sie sind dadurch nicht weg, nur wieder frei und somit fühlt es sich für dich leichter an. Viele Frauen denken, sie müssten lange traurig sein und lange leiden, um ihrem Baby so zu zeigen, wie sehr sie es lieben. Oder sie haben Angst davor, dass sie ihr Baby vergessen, wenn sie den Schmerz loslassen. Ich sage dir hier zwei Dinge: 1. Dein Baby weiß, dass du es liebst! Du kannst keinem Kind – und auch keinem Sternenkind – etwas vormachen. Unsere Kinder fühlen, dass wir sie lieben und brauchen dafür keine Beweise. Weder unsere Sternenkinder noch unsere lebenden Kinder. 2. Du wirst dein Sternenkind nie vergessen. Selbst, wenn du dich heute dafür entscheiden solltest, von jetzt an, zehn Jahre lang nicht mehr an dein Sternenkind zu denken – du wirst es nicht vergessen. Wir vergessen unsere Kinder nicht. Nie. Und du brauchst keine Angst davor haben, dass du es vergessen könntest. Aus diesen zwei Punkten kann ich folgenden Schluss ziehen: Auch wenn wir loslassen, auch wenn wir vergeben und auch, wenn wir unser Leben wieder genießen und mit Freude und Liebe füllen, auch dann weiß dein Sternenkind, dass es geliebt ist und auch dann wird dein Sternenkind Teil deines Lebens sein. Immer.
Vergebungsritual
Ich möchte hier mit dir das Hawaiianische Vergebungsritual teilen, weil es ein einfaches Tool ist, um zu vergeben: egal wem. Egal ob deinem Baby, das schon wieder bei den Sternen ist, dir selbst und jemand anders; das Ritual lässt sich beliebig anwenden. Wenn du es auf dich selbst anwendest, stellst du dir einfach vor, dass du dir selbst gegenübersitzt. Wie als würde deine Seele kurz deinen Körper verlassen und sich dir gegenübersetzen: dann kannst du die vier Sätze des Vergebungsritual zu dir selbst sagen. Wenn es dein Baby ist, dem du vergeben möchtest, so denke einfach an dein Baby, während du die vier Sätze sprichst und wenn es jemand anders ist, sehe die andere Person vor deinem inneren Auge. Du kannst es dir für das Ritual schönmachen und dich gemütlich bei Kerzenschein hinsetzen; du kannst es aber auch in der U-Bahn für dich sprechen (auch einfach im Kopf, das hilft auch schon viel). Es ist wirklich ein sehr einfaches Tool, was man überall anwenden kann und was trotzdem über kurz oder lang sehr viel inneren Frieden bringen kann. Wende es regelmäßig an und beobachte, wie sich nach jedem Vergebungsritual ein kleiner Knoten nach dem anderen in deinem Inneren löst; bis du dich irgendwann ganz frei fühlst.
Die vier Sätze des Vergebungsrituals mögen dir vielleicht erstmal merkwürdig vorkommen; du bist verletzt worden und nun sollst du auch noch vergeben? Ja, denn am Ende geht es darum, dass wir uns selbst heilen. Es geht darum, uns, der Situation die uns verletzt hat und dem Verhalten zu verzeihen. Vielleicht fällt es dir zunächst noch schwer, die Sätze zu sprechen, vielleicht erscheinen Blockaden (in Form von Wut, Traurigkeit, Scham, Angst, Ekel) und du willst gar nicht weitermachen. Aber du wirst auch merken, dass es mit jeder Wiederholung leichter wird und immer leichter, desto weiter du dein Herz öffnest und bereit bist, loszulassen – um Platz für Neues, Wunderschönes zu schaffen!
Das Hawaiinische Vergebungsritual kannst du auch unabhängig von der Fehlgeburt anwenden, es lässt sich auch im Alltag wunderbar verwenden. Ich nutze es ganz nach Bedarf und oft auch sofort nachdem mich jemand verletzt hat: dein Partner sagt etwas, was dir nicht gefällt. Erkenne, dass du verletzt bist und sprich im Geiste die vier Sätze; oft stellt sich dadurch sofort wieder innerer Frieden ein und man spart sich einen Energie-raubenden Streit und Stundenlang inneren Frust. Das Leben ist doch da, um es zu feiern – lass uns vergeben und genießen!
Hier nun das Hawaiinische Vergebungsritual:
Es tut mir leid
(ich nehme das Problem an).
Bitte vergebe dir
(wenn ich dich oder andere bewusst oder unbewusst verletzt habe).
Ich liebe dich
(ich liebe mich und dich bedingungslos, denn wir sind alle eins).
Danke
(dass ich das Problem erkennen und heilen durfte).
Spreche in deinem Inneren nur das Fettgedruckte und stelle dir dabei die Person und den Geist vor, dem du vergeben möchtest.
Und noch einmal: Vergeben heißt nicht, dass du dein verstorbenes Baby vergessen sollst. Es wird immer ein Teil von dir und deiner Familie bleiben. Aber es wird der Tag kommen, an dem du akzeptieren kannst, dass es nicht da ist und dass alles genau so passiert ist, wie es passiert es. Es wird der Tag kommen, an dem du erkennst, dass es okay ist, so wie es passiert ist. Es wird der Tag kommen, an dem du denkst: „Ach, all das hätte ich nicht erlebt, gelesen, gemacht, wenn es anders gekommen wäre. Vielleicht ist es ja sogar ganz gut so, wie es passiert ist.“ Und es braucht keine Antwort auf die Warum-Frage, damit dieser Tag kommen kann. Es braucht gar keine Antworten. Es braucht nur deine Bereitschaft, weiter zu leben und zu vergeben.
Warum also?
Warum also? Diese Frage, die uns Frauen und Familien so oft beschäftigt, wenn ein Kind zu den Sternen geht. Irgendwie auch merkwürdig, oder? Wenn ein Baby lebendig auf die Welt kommt, fragen wir uns nicht, warum das nun so ist. Da halten wir uns mit so einer Frage gar nicht erst auf. Dann nehmen wir einfach an, was ist und genießen unser Glück in Dankbarkeit. Warum stellen wir uns die Warum-Frage immer nur, wenn wir etwas traurig finden? Wie wäre es mit einem kleinen Spiel? Jedes Mal, wenn du dich dabei ertappst, wie du denkst: „Warum ist mir das nur passiert? Weil ich mich nicht gut genug ernährt habe? Geraucht habe? Stress hatte?“, dann frage dich auch eine positive Warum-Frage: „Warum ist mir das nur passiert? Weil ich erfahren wollte, dass ich tatsächlich schwanger werden kann! Und jetzt weiß ich, dass es möglich ist und das ist toll!“, oder: „Weil ich erfahren wollte, ob meine Partnerschaft auch Schicksalsschläge gut übersteht und jetzt merke ich: Mein Partner und ich sind so stark zusammen, das ist ein tolles Gefühl!“, oder: „Weil ich erfahren wollte, ob mein Körper darauf reagiert, wenn ein Baby in meinem Bauch nicht lebensfähig ist und jetzt weiß ich das und kann in der nächsten Schwangerschaft noch mehr vertrauen!“, oder „Weil ich meine Herkunftsfamilie kennenlernen wollte und ihre Geschichte aufarbeiten wollte!“ – was fällt dir noch ein? Mache es dir zu einem Spiel, um deine möglichen Schuldgefühle in positive Gefühle zu verwandeln.